RICHTER. Rechtsanwälte

Hat der Chef das Recht Sonderzahlungen einfach zu kürzen?

Nicht selten erhalten Beschäftigte von ihrem Arbeitgeber Sonderzahlungen, etwa in Form von Urlaubs- oder Weihnachtsgeld. Diese Sonderzahlen fallen oftmals dann unter den Begriff der betrieblichen Übung.

Unter einer betrieblichen Übung versteht man dabei die regelmäßige Wiederholung bestimmter gleichförmiger Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aufgrund deren die Arbeitnehmer darauf vertrauen können, dass ihnen eine bestimmte Vergünstigung auf Dauer gewährt werden soll.

Aber dürfen Sie als Arbeitnehmer auf diese Geldbeträge jedes Jahr aufs Neue hoffen?

Oder ist es vielmehr so, dass der Arbeitgeber diese Zahlungen, auch bei einzelnen Arbeitnehmern, einfach verweigern bzw. kürzen kann?

Der nachfolgende Beitrag soll Antworten auf diese Fragen geben.

Der Sinn und Zweck dieser Sonderzahlungen besteht aus Sicht des Arbeitgebers oftmals darin, die Arbeitnehmer entweder für ihre Betriebstreue oder geleistete Arbeit zu belohnen und/oder sie für die Zukunft zu motivieren.

In diesem Zusammenhang ist es aber oftmals so, dass der Arbeitgeber dabei frei in der Entscheidung sein will, ob er diese zusätzlichen Leistungen gewähren will oder nicht.

Verweigert der Arbeitnehmer seinen Angestellten dann plötzlich diese Leistung(en), so ist dies aus Sicht des Arbeitnehmers nicht nur ärgerlich, sondern stellt oftmals auch eine Rechtsverletzung dar. Dies zeigt der nachfolgende Fall.

Im Jahr 2014 zahlte der Arbeitgeber nur an einen Teil seiner Beschäftigten die Sonderzahlung vollständig aus. Bei einem weiteren Teil nahm er Kürzungen vor, weil das Arbeitsverhältnis mit den betroffenen Mitarbeitern erst im laufenden Jahr begonnen oder – etwa wegen Elternzeit – geruht hatte. Allein eine Mitarbeiterin bekam gar keine Sonderzahlung. Als Grund wurde der Juristin vor allem illoyales Verhalten vorgeworfen.

So habe die Juristin bereits bei Antritt ihres Urlaubs im August den Schreibtisch so aufgeräumt, als ob sie nicht mehr kommen wollte und sei in eine andere Stadt zu ihrem Freund gezogen – es sei davon auszugehen, dass sie ihr Ausscheiden aus dem Betrieb plane. Außerdem sei sie aufgrund ihrer Schwangerschaft zusammenhängend mehr als sechs Wochen krank gewesen. Die Juristin forderte die Sonderzahlung daraufhin gerichtlich ein.

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern verpflichtete daraufhin den Arbeitgeber zur Zahlung des Weihnachtsgeldes.

Grundsätzlich gilt bei Vergütungsfragen zwar vorrangig die Vertragsfreiheit und nicht etwa der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, dieser kommt jedoch dann zur Anwendung, wenn der Arbeitgeber die Vergütung seiner Angestellten nach selbst gesetzten verallgemeinerten Regeln vornimmt.

Dann muss sich der Arbeitgeber nämlich auch an seine eigenen Vorschriften halten.

Ausnahmen sind nur möglich, wenn triftige Gründe für eine Ungleichbehandlung vorliegen.

Dieser triftige Grund war im gegebenen Fall jedoch nicht gegeben.

Die Juristin hatte die ihr übergebenen Aufgaben – wie ihre Kollegen auch – erfüllt. Ferner konnte sie die Motivation „gut gebrauchen" – es stand keine Kündigung oder sonstige Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Raum.

Schließlich geht der Umstand, ob sie in Zukunft vielleicht in der Nähe ihres neuen Wohnorts eine neue Stelle sucht, den Arbeitgeber nichts an.

Auch durfte der Arbeitgeber die Sonderzahlung wegen der zusammenhängenden und über sechs Wochen andauernden Arbeitsunfähigkeit der Juristin nicht kürzen. Zwar ist das Interesse des Arbeitgebers, die Abwesenheiten der Mitarbeiter möglichst gering zu halten, verständlich, andererseits sollte mit dem Weihnachtsgeld im vorliegenden Fall unter anderem aber die geleistete Arbeit belohnt werden – und der Leistungsumfang ist der gleiche, unabhängig davon, ob man zusammenhängend krank war oder immer wieder einmal (Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 10.05.2016 - 5 Sa 209/15).

Grundsätzlich führt eine betriebliche Übung zu einer Verbesserung der arbeitsvertraglichen Rechte des Arbeitnehmers und damit zu einer inhaltlichen Änderung des Arbeitsvertrags.

Eine Betriebsübung bzw. die aus ihr folgenden Rechte des Arbeitnehmers stehen daher nicht auf der Ebene einer Betriebsvereinbarung bzw. eines Tarifvertrags, sondern vielmehr auf der Ebene des Arbeitsverhältnisses, des Arbeitsvertrages.

Aus einer betrieblichen Übung können daher sämtliche Ansprüche folgen, die auch Gegenstand eines Arbeitsvertrages sein können, vor allem Zahlungsansprüche.

Wie aber kann der Arbeitgeber das Entstehen einer betrieblichen Übung verhindern?

Eine Möglichkeit stellt es dar, dass der Arbeitgeber darauf achtet, dass er die von ihm gewährten Vergünstigungen nicht regelmäßig leistet, denn dann fehlt es an der erforderlichen Regelmäßigkeit der Vergünstigung.

Eine andere Möglichkeit, mit der der Arbeitgeber das Entstehen einer betrieblichen Übung verhindern kann, ist, die Erklärung, dass die Leistung „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" erfolge bzw. „keinen Rechtsanspruch für die Zukunft begründen“ solle, sog. Freiwilligkeitsvorbehalt.

Bis 2015 konnte der Arbeitgeber eine Betriebsübung zusätzlich dadurch verhindern, dass er Zahlungen zwar regelmäßig gewährte, aber in schwankender Höhe. Das ist nun nicht mehr möglich, denn das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass eine Betriebsübung auch bei Sonderzahlungen in unterschiedlicher Höhe entstehen kann, vgl. BAG, Urteil vom 13.05.2015, 10 AZR 266/14.

Schließlich soll noch auf die Frage eingegangen werden, wie ein Arbeitgeber eine einmal entstandene betriebliche Übung beseitigen kann.

Dies gestaltet sich durchaus schwierig, denn durch die betriebliche Übung sind die Ansprüche des Arbeitnehmers - trotz Fehlens vertraglicher Erklärungen - zum Inhalt des Arbeitsvertrags geworden.

Erforderlich ist daher, dass der Arbeitgeber eine einvernehmliche Aufhebung der Betriebsübung erreichen kann oder notfalls eine Änderungskündigung ausspricht.

Darüber hinaus konnte eine für den Arbeitnehmer günstige Betriebsübung nach der älteren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch durch eine abändernde Betriebsübung wieder zu Ungunsten des Arbeitnehmers geändert werden, sog. "negative" oder "gegenläufige" Betriebsübung, das Bundesarbeitsgericht hat die Lehre von der gegenläufigen Betriebsübung im März 2009 jedoch aufgegeben, vgl. BAG, Urteil vom 18.03.2009, 10 AZR 281/08.

Nach herrschender Meinung kann der Arbeitgeber die betriebliche Übung auch nicht durch Anfechtung einer in diesem Zusammenhang abgegebenen Willenserklärung vernichten, da

eine Betriebsübung im wesentlichen auf dem faktischen Verhalten des Arbeitgebers und dem dadurch hervorgerufenen Vertrauen des Arbeitnehmers auf den weiteren Fortbestand einer Vergünstigung beruht und nicht etwa auf vertraglichen „Willenserklärungen".

Zudem berechtigt auch ein Irrtum des Arbeitgebers über die rechtlichen Folgen bzw. über die arbeitsvertragliche Erklärungsbedeutung seines Verhaltens ihn nicht zur Anfechtung.

Ein Irrtum des Arbeitgebers kann aber unter bestimmten Umständen für die Frage von Bedeutung sein, ob überhaupt eine betriebliche Übung entstanden ist, wenn der Arbeitgeber nämlich eine Leistung in dem irrigen Glauben erbringt, hierzu nach Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag verpflichtet zu sein. Konnte der Arbeitnehmer diesen Irrtum dann erkennen, dann ist sein Vertrauen in den weiteren Erhalt der Leistung nicht schützenswert, so dass keine betriebliche Übung entsteht.

Ein einseitiger „Widerruf" des Arbeitgebers genügt im allgemeinen jedoch nicht zur Beseitigung der Folgen einer Betriebsübung, eine Ausnahme gilt aber in den Fällen, in denen sich der Arbeitgeber den Widerruf ausdrücklich vorbehalten hat. Diesen Widerrufsvorbehalt muss der Arbeitgeber allerdings unmissverständlich erklärt haben.

Schließlich können auch mit Hilfe einer Betriebsvereinbarung die aus einer betrieblichen Übung folgenden Ansprüche in der Regel nicht wieder beseitigt werden, da diese Ansprüche zum Einzelvertrag gehören und der Betriebsrat nicht die Rechtsmacht hat, in die Einzelverträge zulasten seiner Kollegen abändern einzugreifen.